Interview mit Christoph Lang
Christoph, wie fühlt sich die Erfüllung dieses Traums der Waldschule an?
Uij ja, das ist wirklich ein bewegendes Erlebnis gewesen. Zuerst war da die Bewilligung für die Waldschule Waldchind Züri Oberland für die erste und zweite Klasse, die so rasch erteilt wurde.
Dann kam kurz danach noch die Bewilligung für den Waldchindsgi. Schon das war einfach toll, denn ein Team von 4 Personen hat intensiv am Antrag gearbeitet und innerhalb von ca. 3 Monaten war die Waldschule realisiert. Es hat einfach alles gepasst.
Am ersten Tag, als die Lehrerin, die Kinder und die Eltern in den Wald gingen, konnte ich mit dabei sein. Die grosse Neugier und auch Spannung war, glaube ich, bis zu den Baumspitzen zu spüren. Auch die Bäume haben mitgezittert und applaudiert. Es war so schön, das miterleben zu können.
Als ich vor rund 30 Jahren von Deutschland in die Schweiz kam, war mein Traum, dass meine Kinder in einen Waldkindergarten und nachfolgend in eine Waldschule oder zumindest in eine Schule mit viel Naturbezug gehen könnten. Angeregt von den ‘Survival Schools’ der First Nation (Indianer) in Nordamerika, war mein innigster Wunsch, den Graben zwischen Mensch und Natur durch meinen Beitrag zu reduzieren oder aufzuheben.
Hier in Wald ZH erlebten wir das immense Interesse an Waldspielgruppen und Naturpädagogik.
1996 haben wir den Feuervogel gegründet und als eines der ersten grossen Projekte die Naturspielgruppe ‘Dusse Verusse’. Mit 4 Kindern sind wir gestartet. Es hat auch mutige Eltern gebraucht, die zwei Männern (Stefan Jetzer und mir) ihre Kinder für die 5 Stunden Spielen und Erleben im Wald anvertrauten. Das Interesse wuchs weiter und ein paar Jahre später konnten wir hier in Wald an 4 Tagen ‘Dusse Verusse’ Gruppen anbieten mit jeweils ca. 12 Kindern, dazu noch eine Gruppe in Rüti und eine in Bauma.
Unsere zwei Töchter Kim und Noemi sind so an mehreren Tagen ins ‘Dusse Verusse’ gegangen. Nicht nur mit mir. Der Aufbau vom ‘Dusse Veruss’e an 11 Standorten in der Schweiz hat viel Zeit und Energie gekostet. Da blieb dann keine Power mehr, hier in Wald an Waldkindergarten bzw. in Richtung Waldschule zu denken. Das’ Dusse Verusse’ gibt es ja immer noch, auch hier in Wald, mit aktuell ca. 160 Kindern in Wäldern in Dübendorf, Züri-Oberland (Wald, Bauma), Bern, Zollikofen und Luzern. Auch die Erarbeitung des Qualitäts-Management Handbuches für das ‘Dusse Verusse ‘hat viel Zeit und Kraft gekostet. -lacht- ... und hat sehr viel Freude gemacht.
Warum ist es deiner Meinung nach essenziell, mit den Kindern im Wald zu sein?
In meinem Verständnis sehe ich es als zentral, unseren Kindern und Enkeln einen vielfältigen, unverfälschten und positiven Kontakt zur Natur zu ermöglichen. Diese Naturerlebnisse sind, bildlich gesprochen, wie Samen, die uns stärken und uns mit der Natur verwurzeln. Aus diesen Samen entwickeln sich sanft die Blüten und später wohlschmeckende Früchte.
Wir Menschen sind untrennbar eingebettet in die überschwängliche und wunderschöne Natur, die uns mit so vielen unersetzbaren Gaben beschenkt. Wenn wir achtsam mit diesen Geschenken umgehen und die natürliche Vitalität behutsam nutzen und vor allem wieder herstellen, dann kann das Zusammenleben von Mensch und Natur paradiesisch sein. Um diese Möglichkeit überhaupt wahrnehmen zu können, ist es entscheidend, dass sich Menschen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) in der Natur wohlfühlen. Das bedeutet, das möglichst viele Menschen in der Natur aufgewachsen und sich bestenfalls dort ihrem Wesen nach entfalten und lernen können.
Wir Menschen haben einen inneren Wunsch danach, am Leben teilzunehmen, es auszuprobieren und dabei immer weiter zu lernen. Die vielen Fragen der Kinder, die uns ab und zu auch nerven, zeigen das doch so wunderschön. Kinder wollen lernen und das – wenn die Neugier entbrannt ist – bitte sofort!? Alle Projekte mit Waldkindergärten und Waldschulen zeigen eindeutig die grossen Vorteile dieser Einrichtungen für die Entwicklung der Kinder. Und ... das ist mir wichtig, der Lehrplan 21 ist eine tolle gemeinsame Grundlage, um die Lern- und Entwicklungsziele in der Schule bewusst zu machen. Auch ist zu beachten, dass die Qualität der Regelschule als auch einer freien bzw. einer Waldschule entscheidend von den Kompetenzen der Lehrperson abhängt. Das ist Mahnung und Anspruch zugleich für uns von der Waldschule: Waldchind ZO!
Phantasie, Entscheidungsfreudigkeit, Fehlertoleranz, Selbstwirksamkeit, Risikoflexibilität, Teamgeist, Problemlösungsfähigkeit und Achtsamkeit unserer natürlichen Basis gegenüber sind DIE Zukunftsfähigkeiten.
Gerade fällt mir das Lied KINDER – SIND SO KLEINE HÄNDE von Bettina Wegner ein, das sie im Jahr 1978 gesungen hat. Das hat mich damals tief berührt, da es die Verletzlichkeit der Kinder so kraftvoll besingt, den ganzen Liedtext gebe ich dir gerne
(https://www.songtexte.com/songtext/bettina-wegner/kinder--sind-so-kleine-hande-5b56d7b0.html).
In der letzten Strophe heisst es dann:
Grade, klare Menschen
wär′n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat
Hab'n wir schon zu viel!
Das ist für mich wie ein Auftrag gewesen, mich für das Wohl der Kinder einzusetzen, damit sie in einer möglichst natürlichen Umgebung gesund aufwachsen und gedeihen können. Ja und wie es in der letzten Strophe eben so klar ausgedrückt wird, zu Menschen heranwachsen, die Mut und Lebensfreude haben, die eigenständig denken und sich in der Gesellschaft konstruktiv einbringen können.
Kinder sind die Erwachsenen, die bald über das Wohl dieser Erde entscheiden werden. Da ist es für mich logisch, wenn wir – die Erwachsenen, die im Moment gesellschaftlich aktiv sind – uns darum kümmern, Kindern die Möglichkeit zu geben, ihr volles Potential zu entwickeln.
Besonders wichtig ist es auch, sich der Frage zu stellen, welche Inhalte sollen wir den Kindern vermitteln (Spielgruppe, Kindergarten, Schule) damit sie in der Lage sind, sich den kommenden Herausforderungen zu stellen.
Diese Frage hat uns dazu gebracht, den Feuervogel, die Naturspielgruppe Dusse Verusse, die Naturpädagogik Weiterbildung ‘Meisterschaft Naturpädagogik’ und die vielen anderen Projekte zu initiieren und bis heute zu kultivieren.
Die Waldschule ‘Waldchind ZO’ ist jetzt ein wichtiges Projekt. Hier lerne ich, mich nochmals meinem Auftrag vom 1978 zu widmen. Mit all dem, was ich bis jetzt lernen durfte und allem, was so wundervoll noch dazugehört. Dafür arbeiten wir miteinander ja in einem tollen Team, in dem so viel Wissen und der Sinn für Wesentliches zusammenkommt.
Welche Projekte, Ziele und Träume hast du noch für die „Waldchind“?
Ich möchte in der Waldschule ein Lernumfeld erzeugen, welches die Herzen der Kinder tief nährt, ihnen im Wald ein schönes Zuhause bietet.
Ein natürliches Zuhause, das Wände hat, die von ihren Baumfreunden gebildet werden; das ein Dach hat aus all den verschiedenen Wolken der Jahreszeiten, die in einem wunderschönen blauen Himmel schwimmen, in dem die Falken und Milane kreisen; das ihnen einen Boden bietet, der nach Moos, Laub und Molchen riecht, der so uneben, wie das Leben, nicht gradlinig ist, der sie trägt und nährt und den sie achten; das eingerichtet ist mit möglichst naturbelassenen Gegenständen, die keinen vorgegebenen (intendierten) Zweck erfüllen, sondern die Phantasie und Kreativität anregen, wo ein Stock eine Schlange, ein Zwerg, ein Schwert und auch ein Rohstoff für das wärmende Feuer im Winter sein kann; wo www nicht das Netz der digitalen Daten bedeutet sondern so etwas wie wild, wohlige Wahrnehmung bedeuten könnte, als eine Begabung, die wir erlangen können, wenn wir uns in der Natur, im Wald zu Hause fühlen und einen innigen Kontakt mit dem Lebensnetz um uns herum erlernen.
Was ist deine Zukunftsvision für unsere Kinder und das Schulsystem?
Es wäre super, wenn von der Spielgruppe bis ins Gymi die ganze Schulzeit in oder ganz nah an der Natur abgehalten werden könnte. Die Natur ist unser Ursprung. Kinder und Jugendliche, die in diesem natürlichen Kontext aufwachsen können, denen kreative, gestalterische und kulturoffene Inhalte vermittelt werden, werden als Erwachsene neue und förderliche Entscheidungen fällen, für eine friedliche und tolerante Zukunft, die in Harmonie mit den natürlichen Kreisläufen gedeihen kann.
Aus diesen Gedanken ist für mich wichtig, dass wir ein konstruktives Zusammenwirken der verschiedenen Beteiligten ermöglichen. Von dem Team der Lehrenden über die Kinder zu den Eltern und Geschwistern sowie der Schulleitung, als auch den Förstern, Waldbesitzern, der Gemeinde und den Lebensnetz im Wald. Dieses vielschichtige System kann, wenn ein liebevoller und achtsamer Gestaltungsprozess aufgebaut werden kann, für all die Herausforderungen, die wir zu meistern haben, gute Lösungen finden. Lösungen, welche den Kindern den vorgegebenen Lernrahmen (LP21) erfüllen und die vielen Kompetenzen stärken können und darüber hinaus viel interessantes und lebensförderliches Rüstzeug für ihre Zukunft zur Verfügung stellen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, für das Vorangehen, fürs Teilen der Visionen. Ich freue mich auf den weiteren, gemeinsamen Weg!
Hier noch der Liedtext zum oben genannten Lied:
KINDER – SIND SO KLEINE HÄNDE SONGTEXTSind so kleine Hände
Winz′ge Finger dran
Darf man nie drauf schlagen
Die zerbrechen dann
Sind so kleine Füße
Mit so kleinen Zehen
Darf man nie drauf treten
Könn' sie sonst nicht geh′n
Sind so kleine Ohren
Scharf und ihr erlaubt
Darf man nie zerbrüllen
Werden davon taub
Sind so schöne Münder
Sprechen alles aus
Darf man nie verbieten
Kommt sonst nichts mehr raus
Sind so klare Augen
Die noch alles seh'n
Darf man nie verbinden
Könn' sie nichts versteh′n
Sind so kleine Seelen
Offen und ganz frei
Darf man niemals quälen
Geh′n kaputt dabei
Ist so 'n kleines Rückgrat
Sieht man fast noch nicht
Darf man niemals beugen
Weil es sonst zerbricht
Grade, klare Menschen
Wär′n ein schönes Ziel
Leute ohne Rückgrat
Hab'n wir schon zu viel
Text: David Garza Lyrics